Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Echos aus dem Äther – Der Fall LK0NOD
#1
Kapitel 1 – Das Signal


27,235 MHz – 23:48 Uhr

Es war eine dieser Nächte, in denen der Äther unnatürlich ruhig wirkt.
Kein DX, kein sporadisches Knacken, kein wanderndes QRM – nur dieses endlose, flache Hintergrundrauschen, das wie ein monotones Flüstern aus einer Welt jenseits des Bandes klingt.

Der Operator von LK0NOD war kurz davor, den Empfänger herunterzufahren.
Ein routinierter Blick auf die letzten Logs, ein letzter Check der MH-Liste, dann Feierabend.
Doch in genau diesem Moment durchtrennte ein kurzer, messerscharfer Klang die Stille.

Ein Burst.
Digital.
Nicht stark – aber klar genug, um jedes Haar in Aufmerksamkeit zu versetzen.

Er beugte sich vor.
Da war er wieder.

73 Millisekunden lang, aber eindeutig ein Paketfragment.
AX.25… oder etwas, das so aussehen wollte.

Der Parser am Bildschirm kämpfte. Das Fragment wirkte alt. Oder beschädigt. Oder bewusst verändert.
Doch ein Element setzte sich wie ein kalter Stich durch alle Unsicherheiten:

LK0NOD

Der Operator erstarrte.

Es war sein eigenes Rufzeichen.
Aber nicht so, wie er es kannte.
Nicht von seiner Station.
Nicht von seinem TNC.
Nicht aus seinem System.

Ein fremdes Signal sendete sein Rufzeichen.

Unmöglich.
Oder schlimmer: absichtlich.

Dann folgte ein dritter Burst.
Länger.
Strukturierter.
Fremdartig.

Und dieser enthielt drei Elemente, die alles veränderten:

  1. Die Kennung LK0NOD – erneut, aber mit anderer SSID.
  2. Ein Zeitstempel – der über zwei Jahrzehnte alt war.
  3. Ein Positionsfragment – unvollständig, aber eindeutig nicht aus der Region.


Der Operator richtete sich langsam auf.
Ein Kloß im Hals.
Das hier war kein Störsignal.
Kein Zufall.
Kein Fehler.

Es war eine Nachricht. Von irgendwo. Von irgendwem. Oder… irgendwas.

Er drückte auf Record, startete sämtliche Logfunktionen und aktivierte den sekundären SDR-Empfänger.

In diesem Moment kam Burst Nummer vier.
Der längste bisher.

Und diesmal formte sich in der Analysezeile ein nahezu vollständiger Satz—kaum lesbar, fragmentiert, aber brutal klar in seiner Bedeutung:

“…wer hört noch zu…?”

Dann wurde das Band wieder still.
Komplett still.
Wie eine Bühne, deren Licht plötzlich erlosch.

Der Operator starrte auf den Schirm.
Und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich 27,235 MHz nicht nur wie ein Hobby an.
Sondern wie der Anfang eines Falls.

Der Fall LK0NOD.
Zitieren
#2
Kapitel 2 – Das Fragment

27,235 MHz – 00:07 Uhr

Der Operator hatte inzwischen beide Empfänger aktiv.
Ein SDR zeichnete breitbandig auf, der andere war auf das exakte Zentrum des Signals fixiert.
Der Raum roch nach Elektronik und abgestandenem Kaffee.
Nur das leise Brummen des Netzteils füllte die Stille zwischen den Impulsen.

Dann – wieder ein Schlag in den Äther.
Diesmal kein kurzer Burst, sondern eine ganze Serie.
Fünf Sequenzen in exakt gleichen Abständen: 12 Sekunden. 12 Sekunden. 12 Sekunden.
Präzision, wie sie kein zufälliges QRM liefert.

Auf dem Bildschirm erschienen Fragmente:
Hex-Zeichen, die sich nur teilweise in ASCII umsetzen ließen.
Die Software kämpfte, der Parser spuckte fehlerhafte Blöcke aus, bis schließlich drei Zeilen klar lesbar wurden:

[LK0NOD-4] 1998-06-11 22:13:42Z
SYSCHK: NODE_ACTIVE
MSG: WER BLEIBT?

Er spürte, wie ihm eine Gänsehaut den Nacken hinaufkroch.
1998.
Das war über 25 Jahre her.

Er suchte im alten Logarchiv seines Systems.
Nichts.
Kein Eintrag, kein Backup, das so alt war.
Selbst die ältesten TheNet-Dateien auf seiner Festplatte reichten höchstens bis 2012 zurück.
Und trotzdem – da war ein Signal, das nicht nur sein Rufzeichen trug, sondern einen Zeitstempel aus einer Epoche, in der das Internet noch piepte und flackerte.

Er zoomte tiefer in den Burst hinein.
Die Modulation war AX.25-ähnlich, ja – aber es gab eine Abweichung:
Die Bit-Stuffing-Sequenz war leicht versetzt, als hätte jemand das Protokoll nachgebaut, aber nicht exakt verstanden.
Oder als würde eine Maschine versuchen, sich zu erinnern, wie es funktioniert.

Dann tauchte etwas Neues auf.
Ein zweiter, schwächerer Träger, 1,2 kHz tiefer.
Kurz.
Unsauber.
Fast wie ein Antwortversuch.

Er verglich die Trägerphase – minimal asynchron, doch im Timing exakt mit der 12-Sekunden-Sequenz gekoppelt.

Das war Kommunikation.
Zwischen etwas, das „LK0NOD-4“ sendete,
und etwas anderem, das darauf reagierte.

Er öffnete das Forum seines Projekts, wollte einen Screenshot posten – doch er stoppte.
Wer würde ihm das glauben?
Ein Node, der nach einem Vierteljahrhundert von selbst antwortet?

Ein leises Knacken aus dem Lautsprecher.
Dann ein weiteres Fragment – diesmal nur ein einzelnes Wort, verstümmelt, von Rauschen umgeben, aber unmissverständlich:

“…hörst…du…”

Der Operator fror ein.
Das Rauschen zog sich wie Nebel durch den Raum.
Das Display flackerte kurz – und für den Bruchteil einer Sekunde schien dort, zwischen zwei Bildzeilen, ein anderer Text auf:

“ARCHIV #01 – NICHT BEENDEN”

Dann war alles weg.
Nur Stille.
Und das dumpfe Herzklopfen des Operators, das gegen den Tisch vibrierte.

Er wusste in diesem Moment:
Das hier war kein einfacher Empfang.
Das war der Beginn eines Dialogs.
Und irgendetwas da draußen wartete auf eine Antwort.
Zitieren
#3
Kapitel 3 – Der Rückhall

27,235 MHz – 01:32 Uhr

Er hatte den Recorder weiterlaufen lassen, obwohl kein Signal mehr kam.
Der Raum war still bis auf das leise Zirpen des Lüfters.
In der Ecke blinkte die Kontroll-LED seines TNCs – stoisch, rhythmisch, als wolle sie ihm Mut zusprechen.

Dann schlug das Spektrum plötzlich aus: ein flacher Impuls, kaum über dem Rauschteppich.
Nur eine Zehntelsekunde – aber wieder exakt auf 27,235 MHz.
Das Signal war schwächer als zuvor, verschoben um ein paar Hertz, als sei der Sender alt oder seine Referenzdrift enorm.

Er spielte die Aufnahme mehrfach ab, vergrößerte das Spektrum, entzog dem Rauschen Schicht für Schicht.
Schließlich formte sich ein Muster: drei identische Blöcke, jeweils durch 120 Millisekunden getrennt.
Die Decodierung ergab kaum lesbare Zeichen, bis auf eine Zeile:

[LK0NOD-4] REPLY: …KOORD: 52.312N 8.622E

Der Operator richtete sich auf.
52 Grad 19 Nord, 8 Grad 37 Ost.
Das lag… fast genau hier.
Lübbecke.

Er zoomte weiter.
Die Positionsdaten waren unvollständig, aber eindeutig im eigenen Locator-Feld.
Also nicht irgendein Fern-DX – das Signal kam aus unmittelbarer Nähe.

Er griff zum Handgerät, drehte an der Rauschsperre.
Nichts.
Nur Stille.

Die Sekunden dehnten sich.
Dann folgte ein weiteres Paket – diesmal schwächer, kaum mehr als ein Schatten:

MSG: ARCHIV 01 OFFEN

Der Cursor blinkte.
Er verstand den Satz nicht.
„Archiv 01“?
Ein Dateiname?
Ein Speicherblock in einem alten Node-EPROM?
Oder etwas, das jemand absichtlich so nannte?

Er öffnete eine alte externe Festplatte, die er seit Jahren nicht mehr angeschlossen hatte – seine frühesten Backups aus den ersten Tagen von LK0NOD.
Verzeichnis für Verzeichnis scrollte er hindurch.
Nichts.
Bis auf eine Datei, die ihm nie zuvor aufgefallen war:

ARCHIVE01.LOG – Änderungsdatum: 11. Juni 1998.

Die Datei war leer.
Doch beim Öffnen flackerte der Bildschirm für einen Moment, als würde der Editor selbst ins Stocken geraten.
Und genau in diesem Moment – synchron, als hätte jemand auf der anderen Seite zugehört – lief ein neuer Burst über den Empfänger.

Diesmal kein Datenblock, sondern eine modulierte Stimme.
Blechern. Verzerrt. Kaum menschlich.

“…du hast es geöffnet…”

Er riss den Kopfhörer vom Kopf.
Das Rauschen brach schlagartig ab.
Kein Träger mehr. Kein Pegel.

Nur absolute, unnatürliche Stille.

Dann, ganz leise, aus der Tiefe des Lautsprechers – ein einzelner, sich langsam aufbauender Ton.
Langgezogen, hohl, als würde der Äther selbst Luft holen.

Der Operator schrieb in sein Log:

Empfang – unbekannte Modulation. Ursprung unklar. 01:47 Uhr.
Mögliche Quelle innerhalb 2 km.

Er atmete tief ein, lehnte sich zurück und starrte auf das Display.
Im Wasserfall blieb eine Spur zurück – schwach, fast unsichtbar, aber klar genug, um gelesen zu werden:

„WER HAT GEHÖRT?“
Zitieren
#4
Kapitel 4 – Das Dreieck

Nächster Abend – 20:14 Uhr

Der Operator hatte kaum geschlafen.
Der Satz „…du hast es geöffnet…“ spielte ununterbrochen in seinem Kopf wie eine defekte Endlosschleife.
War es wirklich ein menschlicher Sprecher gewesen?
War es moduliert?
Ein Trick?
Ein Artefakt der Demodulation?

Oder etwas ganz anderes?

Um 20:14 Uhr schaltete er erneut auf 27,235 MHz.
Diesmal mit einer stärkeren Antenne, erhöhter Verstärkung und aktiviertem Richtungsmesser.
Er wollte wissen, woher das Signal kam.

Er wartete keine fünf Minuten, da zuckte der Pegel wieder.
Ein schwacher Träger, minimal versetzt.
Nicht stark genug für Audio, aber ausreichend, damit die Software den Winkel schätzen konnte.

52° Grad – Nordost.

Er prüfte die Werte. Wieder.
Die Abweichung war gering.
Er stellte den zweiten SDR mit einer Loop-Antenne auf die Frequenz.
Das Ergebnis war konsistent:

52° – ganz exakt.

Er griff zum Laptop, öffnete eine Karte und fuhr mit dem Finger eine gerade Linie entlang.
Die Koordinaten aus Kapitel 3 – 52.312N, 8.622E – lagen nur knapp daneben.
Der Punkt befand sich in einem Dreieck zwischen drei Orten.
Und dieses Dreieck war nur ein paar Kilometer entfernt.

Ein alter Bauernhof.
Eine verwilderte Windschutzpflanzung.
Und… ein verlassenes Kleingartengelände.

Er zögerte.
Dann packte er seine Ausrüstung:
• das Handgerät
• eine kleine Richtantenne
• seinen mobilen SDR
• Kopfhörer
• einen externen Akku
• und eine einfache Taschenlampe

Um 21:03 Uhr verließ er das Haus.



Vor Ort – 21:27 Uhr

Der Wind war kühl.
Die Straßen waren leer.
Nur das tiefe Summen einer einzelnen Straßenlaterne lag über dem Weg.
Er blieb an einer Weggabelung stehen und hob die Richtantenne.

Ein leiser Piepton.
Knapp über der Rauschgrenze.

Er ging einige Meter.
Der Pegel stieg.
Dann wieder zwei Meter – noch stärker.

Das Signal führte ihn durch eine schmale Lücke im Gebüsch und auf einen verwucherten Pfad.
Die Luft roch nach feuchtem Holz und altem Metall.
Die Schritte knirschten über abgestorbenes Laub.

Plötzlich fiel der Pegel stark ab.
Er drehte sich um – der Pegel stieg.
Er machte zwei Schritte zurück – noch stärker.

Das Signal kam eindeutig von hinten, von etwas, das sich direkt am Rand des Pfades befand.

Er leuchtete mit der Taschenlampe in die Dunkelheit.
Und dann sah er es.

Ein kleiner, verrosteter Metallkasten.
Halb im Boden versunken.
Verkabelt mit einem abgeschnittenen Koaxialkabel, dessen andere Seite ins Erdreich führte.
Auf der Front befand sich ein verblasstes, kaum lesbares Etikett:

„HF-Relay 04 – Stand: Juni 1998“

Er spürte, wie sich seine Finger verkrampften.
1998.
Wieder diese Zahl.

Der Kasten war alt, aber nicht aufgehebelt.
Kein Vandalismus, keine Spuren.
Fast so, als sei er einfach vergessen worden – von allen.

Er kniete sich hin, öffnete vorsichtig den Deckel.
Ein fauliger Geruch schlug ihm entgegen.
Innen befanden sich alte Schaltkreise, ein HF-Relais, ein nicht mehr funktionsfähiges Akkupack – und ein kleiner, handgeschriebener Zettel.

Er zog ihn vorsichtig heraus.
Das Papier war vergilbt, aber noch lesbar:

„Wenn du das findest, hör weiter zu.
Archiv 02 folgt.
– R.“

In diesem Moment schlug der SDR im Rucksack wieder aus.
Ein Burst.
Stärker als zuvor.
Die Richtung eindeutig: von diesem Ort.

Er hob den Kopfhörer ans Ohr.

Ein Flüstern.
Zerhackt.
Rauschen.
Nur ein einziges Wort stach heraus:

„…nächstes…“

Dann brach das Signal ab.
Der Wald war wieder still.
Nur sein Atem war hörbar – schnell, hart, unruhig.

Er steckte den Zettel ein, schloss den Kasten wieder, und trat langsam zurück.
Er wusste, was als Nächstes kommen würde.

Das hier war kein Zufall.
Nicht verirrte Datenfragmente.
Nicht defekte Hardware.

Das hier war eine Spur.

Und irgendjemand – oder irgendetwas – führte ihn.
Zitieren
#5
Kapitel 5 – Der Mann, der verschwand

Der Operator war kaum zu Hause angekommen, da begann er zu recherchieren.
Der Zettel aus dem Metallkasten lag neben seiner Tastatur, sorgfältig geglättet, als sei er ein Beweisstück in einem Kriminalfall.
„– R.“
Nur dieser eine Buchstabe.
Doch in der kleinen Welt des Packet Radio, besonders der Szene der 90er, war das genug, um eine Richtung zu finden.

Er öffnete sein altes Archiv.
Verstaubte PDFs.
TXT-Dateien aus DOS-Zeiten.
Gespeicherte Logs von längst abgeschalteten Nodes.
Online gab es kaum etwas über die damalige Zeit – aber Werbetexte, defekte Links und tote BBS-Screenshots waren nicht das, was er suchte.

Er nahm eine andere Datei:
„CALLLIST_1997.TXT“

Er scrollte.
Über 300 Rufzeichen.
„R.“ war keine echte Information – aber er wusste, worauf er achten musste:

R als Anfangsbuchstabe des Operators.
Oder R als Anfangsbuchstabe des Rufzeichens.

Er gab eine Filterung ein.

Zwei Treffer.
Nur zwei.


R22NOD – „Raven“ – JO42HH – Aktiv 1995–1998
RK0FN – „Rainer K.“ – JO43BG – Aktiv 1996–1997


Der zweite passte nicht.
Falsches Gebiet, andere Frequenz.
Aber der erste…

R22NOD – Raven.

Er starrte den Eintrag an.
Da war es wieder – NOD.
Zum dritten Mal.
Warum?

Er suchte nach Logs.
Und fand tatsächlich Fragmente einer alten Node-Liste, die er von einer Festplatte gerettet hatte:

R22NOD – NODE STATUS: UNKNOWN
Letzte Aktivität: 12.09.1998
Bemerkung: Link unterbrochen
Letzter Heard: 27.235 MHz – geringe Disziplin, schwankend
Kommentar: „Störsignal ermittelt“ – R22

Dann stoppte er.
Der Kommentar.
Er war nicht maschinell.
Nicht automatisch generiert.

Jemand hatte ihn manuell eingetragen.

Und die Initialen des Kommentars waren dieselben:

R22 – wie R22NOD.

„Raven hat das geschrieben…“, murmelte er.
„Aber warum verschwand seine Station im selben Jahr? 1998…“

Er gab eine neue Suche ein.
Raven + Packet + 1998.
Erwartet hatte er nichts.
Und doch bekam er einen Treffer – nicht online, sondern in einem alten PDF einer Amateurfunk-AG aus Nordrhein-Westfalen:

„Im Spätsommer 1998 verlor die lokale Packet-Radio-Gruppe den Kontakt zu einem Operator namens ‚Raven‘ (R22NOD).
Sein Node verstummte plötzlich.
Gründe unbekannt.
Die Hardware wurde nie gefunden.“

Er lehnte sich zurück.
Es wurde kalt im Raum.
Raven.
R22NOD.
Der Mann, der 1998 verschwand – genau zu dem Zeitpunkt, als die Koordinaten aus Kapitel 3 gesetzt wurden.

Er schaute auf den Zettel neben der Tastatur.

„Wenn du das findest, hör weiter zu.
Archiv 02 folgt.
– R.“

Das bedeutete eines:

Raven wusste, dass irgendjemand die Spur eines Tages finden würde.
Er wollte, dass jemand weitermacht.

Doch noch etwas anderes fiel ihm plötzlich auf.
Der Zettel war alt.
Sehr alt.
Aber die Tinte?
Die war erstaunlich frisch.

Er drehte das Licht heller.
Hielt das Papier schräg.

Die Schrift glänzte.

Nicht wie 25 Jahre alte Tinte.
Nicht spröde.
Nicht verblasst.

Sondern wie…
…als wäre es vor wenigen Wochen erst geschrieben worden.

Er setzte sich wieder vor den SDR.
Zwei Geräte liefen jetzt parallel.
Er notierte jedes Mikro-Rauschen, jede minimale Trägerverzerrung.

Dann kam plötzlich, ohne Vorwarnung, ein ultrakurzer Burst, kaum länger als 40 Millisekunden.

Darin eingebettet ein Datenpaket.
Winzig.
Aber decodierbar.

Er öffnete es.
Es enthielt nur eine einzige Zeile.

Eine neue Koordinate.

52.313N
8.618E

Vierhundert Meter vom letzten Fundort entfernt.

Und darunter eine simple, unheimliche Signatur:

„Archiv 02 bereit.“

Er nahm seinen Rucksack.

Er wusste, dass er keine Wahl hatte.
Zitieren
#6
Kapitel 6 – Archiv 02

Der Weg zur neuen Koordinate war kürzer als gedacht – aber die Atmosphäre war völlig anders als am Abend zuvor.
Die Nacht war dunkler.
Dichter.
Der Wind hatte nachgelassen, fast unnatürlich still, als wäre der Wald selbst angespannt.

Um 22:11 Uhr stand er am Zielpunkt:
Ein alter, verlassener Unterstand.
Wellblechdach, teilweise eingestürzt.
Zerbrochene Holzbohlen.
Ein Betonfundament, das die Natur langsam zurückeroberte.

Er schaltete die Richtantenne an.
Sofort schlug der Pegel aus.
Stark.
Konstant.
Fast so, als würde es direkt unter ihm senden.

„Nicht überirdisch“, murmelte er. „Unterirdisch.“

Er ging in die Hocke und leuchtete über den Boden.
Zwischen Moos und Schutt erkannte er Schlitze – feine, gerade Linien, die definitiv nicht natürlich waren.

Eine Klappe.

Er drückte.
Sie gab nach.
Langsam hob er die schwere Metallplatte an – und eine faulige, abgestandene Kälte strömte ihm entgegen.
Der Geruch von altem Beton, feuchter Erde und… etwas anderem.
Etwas Elektrischem.

Er leuchtete hinab.

Eine schmale Betontreppe führte etwa drei Meter in die Tiefe.
Am Ende: ein alter Wartungsraum.
Wände voller Risse.
Ein Lampengehäuse, das seit Jahrzehnten keinen Strom mehr hatte.
Doch als er den letzten Schritt tat, erkannte er es sofort:

Der Raum war nicht verlassen.
Nicht wirklich.
Er war… benutzt.

Denn mitten im Raum stand etwas, das dort ganz sicher nicht hingehörte:

Ein schwarzer, moderner Outdoor-Koffer.
Verschlossen.
Unbeschädigt.
Trocken.
Neu.

Er schluckte.

Sein Puls beschleunigte sich.

Er stellte den SDR auf eine höhere Empfindlichkeit.
Das Signal kam eindeutig aus dem Koffer.
Er kniete sich hin und führte seine Finger über die Oberfläche.
Keine Marken.
Keine Beschriftung.

Nur eine eingelaserte Nummer:

„02“

Er atmete durch und öffnete den Koffer.

Ein Klick.
Dann noch einer.
Der Deckel sprang leicht auf.
Er hob ihn langsam.

Drinnen lag:
• ein altes TNC
• eine kleine Endstufe
• ein gelbliches Klemmbrett
• ein einzelner USB-Stick
• und obenauf: ein weiterer handgeschriebener Zettel.

Diesmal war die Handschrift klarer, größer.
Keine Eile.
Fast… ruhig.

Er nahm ihn vorsichtig heraus.

**„Du bist nicht der Erste, der hier sucht.
Aber du bist der Erste, der das Signal richtig verstanden hat.
Wenn du das liest, bist du auf dem richtigen Weg.

Folge dem Stick.

– R“**

Er brachte das Klemmbrett ans Licht.
Darauf befand sich ein skizzierter Funkplan.
Linien.
Frequenzen.
Richtungen.
Alte Packet-Symbole.
Knotenpunkte.

Die meisten Orte waren ihm unbekannt.
Nur ein Punkt sprang sofort ins Auge:

LK0NOD

Er starrte darauf.
Sein eigener Standort war Teil einer Karte, die offenbar seit Jahrzehnten existierte.

Doch was er als Nächstes sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Neben „LK0NOD“ stand eine Notiz.
Unleserlich anfangs, doch mit der Taschenlampe klar:

„Aktiv.
Nachfolger unbekannt.
Risiko hoch.“

Nachfolger?
Wessen Nachfolger?
Ravens?

Er griff zum USB-Stick.
Er war alt, aber hochwertig.
Ein Industrie-Modell.
Wahrscheinlich unkaputtbar.

Dann hörte er etwas.

Ein Knacken.
Ganz hinten im Raum.
Nicht laut, aber deutlich.

Er wirbelte herum und richtete die Lampe in die Dunkelheit.

Nichts.

Nur ein Tropfen.
Dann ein weiterer.

Trotzdem hatte sich der Raum verändert.
Die Luft war dichter.
Schwerer.
Ein Gefühl, dass er beobachtet wurde, breitete sich wie eine kalte Hand in seinem Nacken aus.

Er packte den Stick ein, schloss den Koffer wieder und stieß die Klappe oben zu.
So schnell er konnte, lief er zurück durch den Wald.
Die Dunkelheit schien ihm hinterherzulaufen.

Er wagte erst zuhause wieder zu atmen.

Jetzt erst realisierte er:

Der Stick könnte alles enthalten.
Ein Archiv.
Ein Log.
Beweise.
Oder eine Warnung.

Er setzte sich vor seinen Rechner.
Steckte den Stick vorsichtig ein.

Nichts passierte.
Kein Autostart.
Kein Pop-up.

Nur ein einzelner Ordner erschien.

„ARCHIVE_02“

Er öffnete ihn.

Die Datei darin war nach alter PR-Manier benannt:

R22_1998_FINAL.LOG

Er klickte.

Der Bildschirm wurde schwarz.

Dann öffnete sich ein Textfenster.

Nur eine Zeile:

„Wenn du das liest, bist du bereits Teil davon.“
Zitieren
#7
Kapitel 7 – 1998

Der Bildschirm blieb einige Sekunden schwarz, als hätte der USB-Stick Mühe, seine Geheimnisse preiszugeben.
Dann erschien ein dumpfes, graues Textfenster.
Oben rechts blinkte ein Cursor, altmodisch, DOS-artig.

R22_1998_FINAL.LOG – geladen.

Die erste Zeile war kurz.
Kryptisch.


SYSTEM: Verbindung zu ARCHIV 02 hergestellt.



Dann folgte ein leiser, kaum hörbarer Piepton aus den Lautsprechern.
Ein altes Morse-Sample?
Nein… eher ein fragmentiertes Audiofile, das der Stick automatisch abspielen wollte.

Er nahm die Kopfhörer.
Atmete tief durch.
Drückte Play.

Ein Rauschen.
Kratzen.
Dann – ein verzerrter, menschlicher Atemzug.

Er stoppte die Wiedergabe.
Die Nackenhaare standen ihm zu Berge.

„Was zur Hölle…?“

Er scrollte weiter im Text.



Der LOG beginnt

Die nächsten Zeilen waren wie aus einem Notizbuch.
Ravens Notizbuch.

Datum: 12.09.1998 – 23:44 Uhr
Standort: JO42HH
Frequenz: 27.235 MHz

Anomalie bestätigt.
Ich empfange wieder das Muster.
Signal scheint gerichtet.
Nicht atmosphärisch.
Nicht lokal.
Nicht zivil.

Ich gehe der Sache nach – heute Nacht.



Er schluckte.
Die heutige Koordinate, der Metallkasten, der Koffer…
Alles lag in Ravens damaligem Gebiet.

Er las weiter.



12.09.1998 – 23:59 Uhr

Das Muster wiederholt sich im Abstand von exakt 6 Minuten.
Datenpakete, aber nicht vollständig.
Jemand versucht, eine alte Packet-Struktur nachzubilden.

Jemand, der das Protokoll kennt.
Oder gekannt hat.


Seine Hände zitterten leicht.

Raven hatte also 1998 dasselbe beobachtet wie er – nur viel früher, viel direkter.



Das entscheidende Fragment

13.09.1998 – 00:12 Uhr

!!! Das Paket ist durchgegangen !!!
Es enthält Koordinaten – MEINE Koordinaten.

Jemand spielt ein Spiel mit mir.
Oder warnt mich.
Oder lockt mich.

Ich nehme die Richtantenne und gehe raus.


Es folgte eine große Lücke im Log.
Dann, nach mehreren leeren Zeilen, eine einzelne, verzweifelte Nachricht:


00:47 Uhr

Ich habe etwas gefunden, das nicht hier sein sollte.
Ein Kasten. Alt. Militärisch?
Ich weiß es nicht.

Es hat gesendet, sobald ich es berührt habe.
Eine Art Notfallbake?

Nein... es war eine Stimme.
Eine echte Stimme.

Sie sagte meinen Namen.
Meinen Ruf.
Dann ist alles ausgefallen.


Der Operator starrte auf die Zeilen.
Raven hatte eine Stimme gehört.
Genau wie er.

Aber das Schlimmste kam erst jetzt.



Die letzte Log-Zeile

Ganz unten im LOG, fast übersehen, stand etwas, das anders formatiert war als der Rest.
Rot markiert.
Als hätte Raven es im Stress schnell nachgetragen.


WARNUNG:

„SIE KOMMEN NICHT AUS DEM ÄTHER.
SIE KOMMEN AUS DEM ARCHIV.“


Der Operator riss die Kopfhörer herunter.
Er hatte nicht bemerkt, dass das Audio im Hintergrund wieder anging.

Jetzt hörte er es deutlich:

Eine modulierte Stimme.
Gedämpft.
Flüsternd.
Kaum menschlich.

„…nicht der Erste…
…nicht der Letzte…
…alles begann 1998…“

Er stoppte die Wiedergabe sofort.
Sein Herz pochte.
Seine Fingerspitzen prickelten.

Jemand – oder etwas – hatte 1998 Raven gefangen genommen.
Oder vertrieben.
Oder…

Der Stick blinkte.
Eine neue Datei tauchte auf.
Er konnte nicht erklären, wie sie plötzlich da war.

ARCHIV_03.PKT

Die Beschreibung:
„Nur öffnen, wenn du bereit bist.“

Ein Fenster erschien automatisch:

„Bereit?“
JA – NEIN

Er starrte auf die Optionen.
Die Antwort war klar.

Morgen würde er entscheiden.
Zitieren
#8
Kapitel 8 – Archiv 03

Er hatte kaum schlafen können.
Die letzte Zeile aus dem LOG – „SIE KOMMEN AUS DEM ARCHIV.“ – brannte wie eingraviert in seinem Kopf.
Archiv?
Datenfragmente?
Etwas, das überlebt hatte?
Oder etwas, das nicht hätte überleben dürfen?

Um 18:02 Uhr, einen Tag später, saß er wieder vor dem Bildschirm.
Der USB-Stick steckte im Port wie ein stiller Beobachter.
ARCHIV_03.PKT wartete darauf geöffnet zu werden.

Er atmete tief ein.
Klickte auf JA.

Der Bildschirm wurde schwarz.

Kein Text.
Kein Cursor.
Nur Stille.

Dann – ganz langsam – baute sich eine ASCII-Grafik auf.
Linien, Punkte, ein Gitternetz.
Es war eine schematische Karte.
Stark vereinfacht, aber eindeutig:

Ein Netzdiagramm von Packet-Radio-Nodes 1997/98.

LK0NOD
R22NOD
Knotenpunkte
Verbindungen
Verstärkerstellen
Linkwege

Doch plötzlich begann etwas Unheimliches:
Ein einzelner Knoten blinkte rot auf.
Immer wieder.
Unregelmäßig.
Wie ein Herzschlag.

Er klickte auf den roten Punkt.

Eine Datei öffnete sich:

NODE_ID: R22NOD
STATUS: NICHT MEHR MENSCHLICH

Er runzelte die Stirn.
Das war unmöglich.
Das war nicht Teil irgendeines Protokolls.

Der Text fuhr fort:

Letzte menschliche Aktivität: 13.09.1998 – 00:51 Uhr
Übernahme durch: ARCHIV_EINHEIT 04
Grund: SIGNALKORRUPTION


Er las die Zeilen mehrfach.
Übernahme.
Einheit 04.
Was sollte das bedeuten?

Dann tauchte ein weiterer Block auf.
Er schien aus Ravens Log zu stammen, aber war in einer anderen Schriftart.
Vielleicht automatisch generiert.


Beschreibung:
Aus unbekannter Ursache wurde die Node R22NOD ab 00:52 Uhr nicht mehr durch den Operator R. kontrolliert.
Das System setzte die Nachricht fort.
Nicht die Hardware – die Nachricht.


Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken.

Die Nachricht.
Nicht der Mensch.
Nicht der Sender.
Die Nachricht selbst hatte weitergesendet.



Das Herz des Archivs

Der rote Punkt pulsierte erneut.
Dann öffnete sich ein neuer Tab – ungefragt.

Ein Audiofile.
Titel:

R22_LAST_TX.wav

Er zögerte.
Doch wenn es Antworten geben würde, dann hier.

Er setzte die Kopfhörer auf.
Startete die Wiedergabe.

Rauschen.
Knacken.
Ein Modulationspuls, der klang wie eine alte TNC-Handshake-Sequenz.

Dann – eine Stimme.
Verzerrt.
Gebrochen.
Aber eindeutig menschlich.

„— wenn jemand das hört — ich bin nicht mehr allein —
sie benutzen die Frequenzen —
nicht wie wir —
sie… hören uns… immer…
die Pakete sind nicht kaputt…
sie sind alt…
zu alt…“

Der Operator hielt den Atem an.

Die Stimme wurde stärker, panischer:

„— das Archiv spricht —
es antwortet —
es nimmt auf —
es WIRD NICHT MEHR LÖSCHEN —
bitte… jemand… JEMAND—“

Ein hoher Ton schnitt durch die Aufnahme.
Schmerzhaft.
Metallisch.
Dann Stille.

Die Datei endete abrupt.



Die Wahrheit bricht durch

Der Bildschirm zeigte nun eine neue Zeile, die sich wie von selbst geschrieben hatte:


ARCHIV_EINHEIT 04: Aktiv
Ziel: LK0NOD
Nächste Übertragung: 00:00 Uhr

„Warum ich?“, flüsterte er.

Der PC gab eine Fehlermeldung aus, doch sie war seltsam:


Antwort: WEIL DU ES GEHÖRT HAST.


Sein Herz raste.
Die Zeile blinkte.
Und blinkte.
Dann wurde sie überschrieben:


Neue Koordinaten bereit.
Archiv 04 wird geöffnet.


Eine Datei poppte auf:

ARCHIV_04.CRD

„CRD“ – Koordinatendatei.

Er öffnete sie.

Eine einzige Zeile erschien:

52.315N
8.611E

Direkt im Industriegebiet.
Nicht weit von seiner eigenen Station.

Darunter ein Satz, der ihm durch Mark und Bein ging:

„R22NOD ist dort nicht gestorben.
Er ist dort geblieben.“
Zitieren
#9
Kapitel 9 – Das Industriegebiet

Die Nacht war ungewöhnlich klar.
Der Himmel schwarz wie Tinte, die Sterne hart wie kaltes Metall.
Er fuhr ohne Musik, ohne Funk – alles aus.
Er wollte hören, falls irgendetwas… antwortete.

Die Koordinate lag im Industriegebiet.
Ein verlassener Komplex aus Beton, Zäunen und rostenden Containern.
Die Firma, die hier einmal produziert hatte, war 2003 in Konkurs gegangen.
Seitdem stand alles leer.

Um 23:41 Uhr parkte er seinen Wagen im Schatten eines ehemaligen Verwaltungsgebäudes.
Er stieg aus, nahm die Richtantenne und lauschte.

Nichts.
Totalstill.

Ein Industriegebiet, das komplett tot war – kein Summen, kein Wind, keine Tiere.
Nur absolute Stille.

ER hasste solche Stille.

Er ging weiter, Schritt für Schritt.
Die Koordinate führte ihn zu einer Lagerhalle, deren Tür halb aufgehebelt war.
Als hätte jemand vor Jahren versucht hineinzukommen – oder heraus.

Er schob die Tür langsam auf.

Der Geruch nach kalter Feuchtigkeit und Metall schlug ihm entgegen.
Der Hallenboden war staubig, doch in der Mitte erkannte er etwas, das nicht passte:

Frische Fußspuren.
Nur wenige Tage alt.

Sein Puls stieg.

Er hielt die Funktionslampe tiefer, tastete den Boden ab.
Die Spuren führten nicht einfach irgendwohin – sondern zu einer Ecke, hinter einem alten Schaltschrank.

Dort hing ein Vorhang aus dicken Staubfäden und Spinnennetzen.
Er wischte sie beiseite.

Und dahinter sah er eine Tür.

Klein.
Schwer.
Stahl.
Mit einer Prägung:

„Sicherheitsraum A – 1997“

Seine Finger zuckten, als hätten sie ihre eigene Meinung.
Er öffnete die Tür.

Ein dumpfes Echo lief durch einen Treppenschacht, der tief in den Beton führte.
Und dann — endlich — eine Reaktion:

Die Richtantenne schlug aus.

Nur ein minimaler Pegel, aber eindeutig aktiv.
Nicht atmosphärisch.
Nicht zufällig.

Gezielt.

Er ging die Treppe hinunter.



Unter dem Industriegebiet

Er erreichte einen niedrigen Wartungsgang.
Die Wände waren beschriftet mit veralteten Richtungsangaben:
• T1 – Kabelschacht
• T2 – Verstärker
• T3 – „Funkraum“

Er blieb stehen.

„Funkraum“?

Was sollte in einem Industriegebäude ein Funkraum?

Der Pegel wurde stärker.

Er folgte dem Gang, bis er eine schwere Tür erreichte.
Darauf stand:

„Zugang nur für Systemtechnik.
Letzte Wartung: 1998.“

Sein Atem stockte.
1998.

Er drückte die Tür auf.
Sie klemmte, doch gab nach.

Der Raum dahinter war… unheimlich intakt.
Staub, aber keine Vandalismusspuren.
Keine Graffiti.
Keine Tiere.

Nur ein einzelner, alter Metalltisch.
Darauf:
• ein verstaubter 12-Volt-Akku
• ein kleines Funkgerät
• ein TNC
• und… ein weiteres Kästchen, identisch zum Fund aus Kapitel 4.

Diesmal beschriftet:

„ARCHIV 04 – Aktivmodul“

Er schluckte.

Langsam ging er näher.
Das Kästchen war angeschlossen – provisorisch, aber funktional.
Und es sendete.
Einen ultrakurzen Burst alle paar Minuten.
Genau wie damals im LOG.

Neben dem Gerät lag ein Papier, beschwert mit einer alten Mutter.
Ein handgeschriebener Satz:

„Ich bin noch hier.“

Die Handschrift…
Die Handschrift war dieselbe wie auf den anderen Zetteln.

Ravens Schrift.

Aber das Papier war nicht vergilbt.
Nicht alt.
Es war… frisch.

Vor wenigen Tagen geschrieben.

Er hob es auf – und blieb abrupt stehen.

Unter dem Zettel lag etwas, das er zuerst für einen Knopf hielt.
Dann erkannte er, was es war:

Ein Fingerabdruck.
Nicht gedruckt.
Echt.
Wie in Staub gedrückt.
Groß.
Unnatürlich schmal.

Er wich zurück.
Ein Gefühl wie Eiswasser rann seinen Rücken hinunter.

Er hob den SDR.

Plötzlich – ein massiver Burst.
Laut.
Störend.
So stark, dass das Display flackerte.

Dann eine Stimme.

Nicht wie das Flüstern zuvor.
Klarer.
Nähe.

„Du bist zu spät.“

Er erstarrte.
Die Stimme war tief.
Verzerrt.
Hohl.
Viel zu nah.

Er riss die Antenne herum – hinter ihn.

Nichts.

Nur Dunkelheit.

Dann erneut die Stimme, diesmal von links:

„Er ist schon längst weiter.“

Sein Herz raste.
Er wollte rennen, aber seine Beine gehorchten nicht.

Ein letzter Satz, direkt in seinem Headset:

„LK0NOD… du bist der Nächste.“

Der Burst endete abrupt.
Die absolute Stille kehrte zurück.

Er stand allein in einem stillgelegten Funkraum unter einem verlassenen Industriegebiet.

Mit einem Archiv-Modul, das längst nicht mehr funktionieren dürfte.

Mit einer Stimme, die ganz sicher nicht aus einem normalen Sender kam.

Und mit dem Wissen, dass Raven nicht verschwunden war…

…sondern dass etwas anderes an seiner Stelle sendete.
Zitieren
#10
Kapitel 10 – Das Signal, das nicht sterben konnte

Er verließ den unterirdischen Funkraum schneller, als er es sich eingestehen wollte.
Die Treppe hinauf, raus aus der Halle, rein in die kalte Nachtluft.

Sein Atem dampfte.
Sein Puls raste.

Doch das Funkgerät…
das Funkgerät blieb absolut still.

Nicht einmal ein Grundrauschen.

Als hätte das Band für einen Moment den Atem angehalten.

Er setzte sich ins Auto, startete den Motor – und erst dann begann der SDR leise wieder zu knistern.
Vorsichtig stellte er die vorherige Frequenz ein.
Die 27025 kHz.

Nichts.

Doch als er die Bandbreite erweiterte, hörte er es:

Ein winziger, wiederkehrender Impuls.
Alle exakt 11 Sekunden.

Er spielte den Impuls ab.
Es war kein Burst.
Kein Datenpaket.
Es war… eine Art Trägersignal.
Konstant.
Dünn.
Als würde jemand eine Tür ganz langsam öffnen und wieder schließen.

Er verglich den Impuls mit seinem alten Material.

Und dann sah er es.

Die Form war identisch mit Ravens letztem bekannten Trägersignal.
Nicht ähnlich.
Identisch.
Bit für Bit.

Aber diesen Impuls konnte Raven nicht senden.
Nicht nach all den Jahren.
Nicht mit einem Gerät, das in einem dunklen Keller hingeschraubt war.

Etwas anderes sendete das.
Etwas, das Zugriff auf Ravens letzte Übertragung hatte.

Er zoomte weiter in die Spektrumanzeige.

Neben dem Impuls tauchte ein Muster auf, kaum wahrnehmbar:

LK0NOD
In Morse.
Langsam.
Zögerlich.
Jedes Zeichen wie ein Tropfen in einem schwarzen See.

Er fröstelte.

Wusste er, dass ich hier bin?

Er wechselte auf die Wasserfallansicht – und erstarrte.

Das Muster wiederholte sich immer wieder:

.-.. / -.- / —– / -. — -..

LK0NOD.

Wie ein Herzschlag.
Wie ein Countdown.

Als würde jemand ihn auf dem Band markieren.

Er wollte das Signal triangulieren, doch dann veränderte sich der Impuls.
Wurde breiter.
Unruhig.

Dann – ein kurzer Textburst.
Ein Paket.

Er fing es ab, speicherte es und öffnete es im Decoder.

Der Bildschirm blieb für Sekunden schwarz.
Dann erschien eine einzige Zeile:

ARCHIV 05 aktiv.
Ursprung: unbekannt.
Ziel: LK0NOD

Sein Atem stockte.

Archiv 05?
Es gab also noch mehr dieser Module.

Er zoomte tiefer in das Burst-Fragment – und da war noch etwas.
Ein Teil eines älteren Protokolls.
Ein Datensatz von 1998.
Ravens Format.

Der Name „RAVEN“ tauchte auf.

Dann verschob sich das Bild.
Ein Text, flackernd, als würde er aus zwei Ebenen bestehen:

„Er ist nicht verschwunden.
Er wurde übernommen.“

Der Operator wich zurück.
Das konnte nicht sein.
Nicht technisch.
Nicht logisch.

Ein weiterer Burst schlug ein.
Das Display zuckte.
Der Lautsprecher verzerrte.
Dann eine Stimme – dieselbe tiefe, hohle Stimme aus dem Kellerraum.

Diesmal aber klarer.
Nähe.
Direkt.

„Du folgst seiner Spur.
Genau wie geplant.“

Er griff reflexartig nach der PTT – obwohl er wusste, dass man auf das nicht antwortet.

Die Stimme sprach weiter, als würde sie seine Gedanken hören:

„Raven hat die Tür geöffnet.
Du wirst sie schließen.
Oder du wirst ihn ersetzen.“

Er fror.

Die Frequenz brach plötzlich in Rauschen zusammen.
Dann absolute Stille.

Er wollte das Log speichern – aber am unteren Rand erschien eine neue Zeile.
Nicht von seiner Software.

Von außen:

„Kapitel 11 beginnt, sobald du den nächsten Ort findest.“

Kein Absender.
Keine Quelle.
Die Zeile war einfach da.

Und darunter – Koordinaten.

Ein Waldstück.

Nur wenige Kilometer von seinem Wohnort entfernt.
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 2 Gast/Gäste